Die gesetzlichen Bestimmungen zum Richtwertsystem sind leider so unpräzise und unvollständig, dass sie in der Praxis keine für Mieter*innen transparente Begrenzung bzw. Berechnung des Hauptmietzinses ermöglichen. Darüber hinaus müssen Vermieter*innen ihre Berechnungen des Hauptmietzinses gegenüber Mieter*innen auch nicht offenlegen, sondern können einfach irgendeine Zahl in den Mietvertrag schreiben.
Der Richtwert umfasst dabei zunächst jenen Betrag, der als Hauptmietzins für die sogenannte „mietrechtliche Normwohnung“ festgesetzt wurde. Diese Normwohnung entspricht einer Altbauwohnung der Ausstattungskategorie A, die in einem Gebäude mit ordnungsgemäßem Erhaltungszustand und in durchschnittlicher Lage (Wohnumgebung) liegt. Diese Preise werden vom Justizministerium für alle Bundesländer veröffentlicht und sind damit als Richtwert gesetzlich vorgeschrieben. Soweit so gut – sollte man meinen.
Mit einem im Jahr 2002 in Wien abgeschlossenen Mietvertrag waren hingegen drei verschiedene Gerichte bzgl. der zulässigen Höhe einer Kategorie-A Wohnung beschäftigt. Sie kamen dabei zu drei verschieden hohen gesetzmäßigen Hauptmietzinsen, die sich um bis zu 20 Prozent unterschieden. Für besagte 82m² große Wohnung war zwischen Vermieter und Mieter in einem unbefristeten Hauptmietvertrag ein Hauptmietzins in der Höhe von € 604,64 vereinbart. Das Erstgericht stellte den zulässigen Hauptmietzins nach dem Richtwertsystem mit € 459,80 fest, das Gericht in zweiter Instanz einen monatlich zulässigen Hauptmietzins in der Höhe von € 547,52. Der Oberste Gerichtshof erachtete schlussendlich einen Hauptmietzins in der Höhe von € 481,09 für gesetzmäßig.
Neben der gesetzlich erlaubten Höhe des Richtwertmietzinses hat aber die/der Vermieter*in zusätzlich auch noch die Möglichkeit, Zu- bzw. Abschläge für das Mietobjekt zu berücksichtigen.
Allerdings sind die Umstände, die als Zuschläge zum Hauptmietzins geltend gemacht werden können, im Gesetz nicht genau ausgeführt. Auch hier müssen sich häufig Schlichtungsstellen oder Gerichte in den verschiedenen Instanzen mit der Rechtmäßigkeit beschäftigen und sozusagen auf Umwegen die mangelnde, gesetzlich gedeckte, Mietenbegrenzung klarstellen.
Folgende Beispiele hat der Oberste Gerichtshof bereits zu einer Entscheidung gebracht:
Kein Zuschlag gerechtfertigt ist für
■ die gehobene Ausstattung einer Küche,
■ die Trennung von Bad und WC (Bad und WC also in zwei verschiedenen Räumen),
■ eine Entlüftung des Badezimmers ins Freie,
■ einen Parkettboden (allerdings kann ein Parkettboden in besonderer Qualität wie etwa ein Sternparkett wiederrum einen Zuschlag rechtfertigen).
Weitere gerichtliche Entscheidungen zu der Gültigkeit von Zu- bzw. Abschlägen auf den Hauptmietzins finden Sie hier: https://widab.gerichts-sv.at/schlagwort/zu-und-abschlaege/.
Im Jahr 2021 sorgte eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes bzgl. eines Lagezuschlages für Aufsehen. Grundsätzlich wird der Lagezuschlag nur berücksichtigt, wenn das Gebäude, in welchem sich die Wohnung befindet, in einer Lage gelegen ist, welche besser als die durchschnittliche Lage ist. Entscheidend hierbei sind einerseits die allgemeine Verkehrsauffassung und andererseits die Erfahrungen aus dem täglichen Leben. So kann ein Lagezuschlag aufgrund von Bildungsinfrastruktur wie Kindergärten oder Schulen, Nähe zu Apotheken sowie Ärzten, Nähe zu Geschäftslokalen, nahegelegene öffentliche Verkehrsmittel wie Straßenbahnen oder U-Bahnen sowie generell Naherholungsflächen auf den Mietzins angerechnet werden.
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes sorgt deshalb für Aufsehen, weil die innerhalb des Gürtels gelegene Wohnung grundsätzlich alle Voraussetzungen für den Lagezuschlag nach der bisherigen Rechtsprechung erfüllen würde. Dennoch kam das Höchstgericht 2021 nach Abwägung aller genannten Umstände zu einem gegenteiligen Ergebnis. Der Vermieter wurde zu einer Rückzahlung des dadurch bisher zu viel geforderten Mietzinses verpflichtet.
Dieses Urteil wird massive Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt haben, weil dadurch selbst bestens gelegenen Wohnungen der Lagezuschlag aufgrund sich laufend ändernder und kaum messbarer Faktoren wie Lärmbelästigung und Kleinkriminalität abgesprochen werden kann.